Das Ende der Privatheit oder fehlende Streitkultur

Nachdem ich heute mal wieder Zeugin einer überflüssigen Diskussion zum Thema “Mitgelesen, mitgesehen, mitgehört – Das Ende der Privatheit” bei west.art werden durfte, überkommt mich ganz dringend der Wunsch meinen Unmut kundzutun.

Zunächst schien die Auswahl der Gäste Potential für interessante Diskussion zu bieten, auch wenn die Internetkompetenz mit nur einer Person in Form von Michael Seemann (@mspro) vs. 4 weitere Gäste (Simone Dietz – Philosophin mit Forschungsschwerpunkt “Medien und Gesellschaft”, Christian Schertz – “prominenter” Medienanwalt, Ellen Thiemann – Stasiopfer, Autorin und Journalistin, Ranga Yogeshwar – Moderator und Wissenschaftsjournalist) dünn besetzt war. Nun gut, dachte ich mir: Besser eine Kompetenz als gar keine Kompetenz, was zumindest in TV-Talks zu diesem Thema die Regel darstellt.

Ziemlich schnell wurde mal wieder von “diesem Internet” gesprochen, welches augenscheinlich nur aus Google und Facebook zu bestehen scheint, und dessen Absicht darin liegt, den “normalen” ahnungslosen Menschen, ähnlich wie bei DSDS und dem Dschungelcamp in seiner gesamten Privatheit vorzuführen.

Sehr interessant erschien mir die Figur der Internetkompetenz Michael Seemann, die leider während der Sendung nur eine Randfigur war. Dieser Zustand ist in keinster Weise ihm anzulasten, als viel mehr der Moderation durch Holger Noltze. Wenn er überhaupt was sagen durfte, so wurde er meist (im Gegensatz zu den anderen Gästen) unterbrochen.

Zufall oder Absicht? Während Seemann anfangs als “Internet-Journalist und Kulturwissenschaftler” bezeichnet wurde, mutierte er während des Talks zum “Blogger” (was er auch ist und hier keinerlei Wertung darstellen soll) und war abschließend ein “Internetaktivist”. Nennt mich paranoid, aber während meines Studiums des Kulturwissenschaften habe ich mich intensiv mit der Semiotik, der Wissenschaft der Zeichen, beschäftigt. Bezeichnet es als ein Laster, aber ich kann einfach nicht anders: Ich frage immer nach der Bedeutung von Wörtern und versuche, die tiefere Intention hinter dem Wort zu erforschen.

Warum? Sprache ist eine Waffe! Kurt Tucholsky schrieb sogar ein Buch dazu. (Kleine Korrektur: Es handelt sich nicht um ein Buch, sondern eine posthum erschienene Glossensammlung) Während Seemann also anfangs als Kulturwissenschaftler und Internet-Journalist den anderen Talkgästen gegenüber “intellektuell” und “ernsthaft” ebenbürtig erschien, erlebte sein Image einen Wandel. Die Diskussion wurde zur Warnung: “Wie gefährlich ist dieses Internet?” ist und Seemann wurde zum “Internetaktivisten”. Was soll denn das bitte sein? Ein Terrorist?

Tja, und nun? Bewegen wir uns einfach wieder im Kreis und führen immer wieder nur die gleiche Diskussion, in der alle Beteiligten gekonnt aneinander vorbeireden. Auf der letzten re:publica 2010 hat Prof. Peter Kruse zu diesem Phänomen einen phantastischen Vortrag gehalten, den ich uneingschränkt empfehlen kann:

Weg von der west:art, hin zu übergeordneten Überlegungen, ist mir heute wieder etwas sehr klar geworden. Unterschiedliche Wertevorstellungen machen es offenbar unmöglich, dass verschiedene Lager einen konstruktiven Dialog miteinander führen. Ein Umstand, der im Falle “dieses Internets” (nicht nur dort, aber es ist nunmal ein schönes Beispiel) ganz gerne auf beide Lager zutrifft. Jede Seite scheint nur ihre Sicht zu kennen und ist häufig außerstande, objektiv auf Vor-und Nachteile der “Gegenseite” einzugehen.

Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, und genau dort muss doch endlich mal respektvoll der konstruktive Dialog (incl. Ergebnissen – Stichwort Medienkompetenz) miteinander geführt werden. Ansonsten beliebt das das Netz immer eine periphere, angeblich randgruppenartige Erscheinung, von der keiner gemerkt hat, dass sie längst systemischer Teil der Gesellschaft geworden ist. Mir persönlich macht diese Vorstellung Angst.

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12 Antworten auf Das Ende der Privatheit oder fehlende Streitkultur

  1. Ein wirklich schöner Kommentar.
    Auch wenn ich nicht in allen Punkten konform gehe, wir hatten ja schon telefoniert :), ist das eine wunderbar scharfe und kluge Analyse der heutigen Runde. Oh Gott war das nichtsagend, schlimm.

    Ich freue mich über diesen Post und möchte bitte mehr davon lesen. Mal ganz abgesehen davon das du ja eh mehr Bühnen bespielen solltest! Merci!

    • admin sagt:

      Lieber Jörn Hendrik,

      Danke für meinen “ersten Kommentar” ;-) Der Knoten ist geplatzt und ja versprochen: Es kommt mehr..ich werde einfach nicht mehr schlafen (ist ja eh überbewertet) –> dann bekomme ich schon alles unter einen Hut …

      Diese Woche kommt der Termin zum Medienkompetenztreffen! (Muss nur den Zettel (!) – weil digital ist ja nicht – mit den Elternratsterminen finden :-)).

  2. Mirko Gosch sagt:

    Hey Kassanja,

    ein Post, den ich fast komplett nachvollziehen “und unterschreiben” kann. Das wirklich einzige, was ich nicht verstehe, ist, welche Vorstellung dir jetzt genau Angst macht??? Ich glaube, dass sehr, sehr viele Menschen wissen, dass das Internet systemischer Teil unser Kommunikation geworden ist. Dass dies noch nicht in den klassischen Medien wie Fernsehen, Zeitungen und Radio genügend dargestellt wird, (und wenn, dann immer mit der Gefahrenkeule–gähn) ist aus meiner Überzeugung heraus nur noch von vorübergehender Natur. Die Information fließt in D. bis heute noch viel zu oft in der Geschwindigkeit der Kupferdrähte und nicht in der der Glasfaser. No worries.

    • admin sagt:

      Hallo Mirko,

      es ist jetzt nun nicht so, dass ich nachts nicht mehr schlafen könnte… . Nein, im Ernst mal: An der Schule meiner Tochter (so war es bereits auch im Kindergarten) bin ich immer wieder entsetzt darüber, dass es nicht möglich ist per Mailverteiler zu kommunizieren. Viele haben Eltern keine Mailadresse oder schauen da alle 6 Wochen mal rein. Die Kommunikation läuft überwiegend über Zettel in der Postmappe. Das ist echt Wahnsinn. Genau diese Eltern haben aber lauter kleiner digital Natives, die spätestens in der 3. Klasse alle ein Smartphone haben (ich vermute, dass die meisten Eltern gar nicht wissen, dass man damit ins Internet kommt). Die Schulbehörde verteilt “Informationsflyer” die der Gefahrenkeule im Printbereich in Nichts nachstehen (ganz im Gegenteil, da wird noch von den vielen rechtsradikal angehauchten Webseiten gesprochen) und gepaart mit den Informationen aus den klassischen Medien stellt sich mir die Frage: Wo führt das hin?

      • Mirko Gosch sagt:

        Hey Sanja,

        jetzt sehe ich klarer, auf was du hinaus wolltest, mit deinem letzten Satz im Post. Und das, was du beschreibst, habe ich schon im Kindergarten meiner Tochter ebenso wahrgenommen und erlebt und ja, leider setzt sich das auch in der Grundschule bisher noch fort. Das braucht offensichtlich noch Zeit und wir als Eltern sind aus meiner Sicht natürlich gehalten, hier unseren Beitrag zur Veränderung beizutragen, indem wir Veränderungen anstoßen und den Lehrern helfen, die Goodies der neuen Informationstechnologie auch effizient nutzen zu können – denn zumindestens an der Schule meiner Tochter, scheint bisher keiner der Lehrkräfte und auch nicht der in Kürze in Ruhestand gehende Direktor in der Lage zu sein, diese Kommunikationsdiskrepanz überhaupt wahrzunehmen. Packens wirs an! Gruß aus dem verschlafenen Schleswig, Mirko

        • Kassanja sagt:

          Ganz genau. Habe mich auch genau deshalb in den Elternrat wählen lassen und will dort meinen Worten Taten folgen lassen. Uns statt Lesemutter bin ich Computermutter in der Klasse ;-)

  3. Ganz wichtiger Punkt aus euren beiden Kommentaren, auf der einen Seite keine Panik machen (wie bei unsäglichen rtl2 Shows z.B.) und auf der anderen Seite gilt es eher die Eltern aufzuschlauen als die Kinder zu schützen.

    Wo das hinführt sehen wir, die meisten non-digitalen Eltern sind verunsichert und verbieten was das Zeug hält, da sich die Kinder aber immer holen was sie brauchen werden sie ihre Erfahrungen machen. Das fiese, wenn sie dann z.B. mal tatsächlich bei Pädokriminellen (Danke übrigens Sanja für das Festmeißeln dieses Wortes in meinem Hirn) landen, ist die Schwelle darüber zu sprechen groß. Denn es ist ihnen ja nicht nur selbst peinlich was sie erlebt haben, sondern sie befürchten zurecht einen fiesen Anschiß, da sie ja verbotenerweise im Netz waren.

    Und mir graust es davor meine Tochter an egal welche Schule zu lassen wo sie wohl als Sonderling behandelt wird weil sie sich mit Computern, Tablets und Smartphone besser auskennen wird als alle Lehrer und die meisten Mitschüler.

    • Kassanja sagt:

      Stimmte Dir fast 100 % zu. Die Mitschüler werden sich auch gut auskennen, aber sie werden keine Kompetenz mitbringen und nicht wissen, mit welchen Daten man sensibel umgehen muss (Welche Information gebe ich bei SchülerVZ lieber nicht an?), weils Ihnen keiner gesagt hat und weil sie ihre Eltern zwangsläufig nicht ernst nehmen werden…

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  6. Ja, die Macht der Worte ist groß. Vor allem im Medium Fernsehen: Dort nämlich hören Menschen zu, sind den Worten ausgesetzt, wodurch sie beeinflusst werden.
    Beeinflusst in dem Sinne, als dass sie Meinungen des Wortverwenders übernehmen, sie ablehnen, in jedem Falle aber aufnehmen.

    Und Wenn ein Moderator im Fernsehen seine Meinung plakatieren will, so kann er das; ist er den restlichen im Gespräch überlegen oder aber sie ihm unterlegen.

  7. Pingback: Die Woche im Rückspiegel – KW 03-2011 « kadekmedien's Blog

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